1. Allgemein
2. Heute in Altena
3. Geschichte
3.1. Von Gustav Selve zu VDM
"Lennestein" bezeichnet eine Ortslage am östlichen Ende des Stadtteils Freiheit in Altena. Der Begriff beschreibt ein steiniges Stück Land am Fluss Lenne.
Die Ortslage "Lennestein" erstreckt sich Lenneaufwärts von der Lindenstraße bis zur Ortslage Schwarzenstein. Hier befinden sich u.a. der Schießstand der FWG, die Steinerne Brücke, das "Haus Lennestein" sowie eine denkmalgeschützte Arbeitersiedlung . Am Hang hinter dem "Haus Lennestein" befindet sich seit 1966 die Straße "Am Lennestein". Zuvor standen an dieser Stelle seit der NS-Herrschaft Zwangsarbeiter- und Flüchtlingsbaracken.
Lange Zeit prägten die Gebäude der Firma Basse & Selve die Ortslage Lennestein. Heute sind die meisten dieser Gebäude abgerissen oder baufällig. Auf einem Teil des Geländes der ehemaligen Fabrikanlagen eröffnete 1999 ein Lidl-Markt. Im Jahr 2017 kaufte die Stadt Altena, nicht nur die Industrieruine Schwarzenstein, sondern auch die baufällige Fabrikhalle am Lennestein, in der zuletzt die Firma Bierbach produzierte. Das baufällige Gebäude wurde im September 2020 abgebrochen.
Das letzte erhaltenes Zeugnis "Der Firma" in der Ortslage Lennestein sind die o.g. denkmalgeschützten Arbeiterhäuser an der Werdohler Straße und das "Haus Lennestein".
Nach der Ortslage Lennestein hat sich der 4. Zug (Lennestein) der Kompanie Freiheit benannt.
Ein Teil der Ortslage Lennestein wurde um 1719 noch "Auf´m Sande", 1791 "Auf dem Sande" genannt. Sie war damals jedoch noch nicht bebaut.
Dies änderte sich insbesondere ab 1869 rasant, als der Unternehmer Gustav Selve nach Altena kam und in der nahegelegenen Ortslage Schwarzenstein eine Drahtrolle erwarb. Mit ihr begann die Erfolgsgeschichte der Firma "Basse & Selve".
Am 16.03.1885 erweiterte Selve sein Werk und kaufte bestehende Fabrikhallen am Lennestein dazu.
Die Firma expandierte in kurzer Zeit. Basse & Selve wurde der größte Arbeitgeber der Stadt und in der Ortslage Lennestein entstand eine Arbeitersiedlung mit einem Konsumladen, einer Badewannenanstalt und einem Arbeiterheim sowie Fertigungshallen, in denen u.a. Teile für Luftschiffe hergestellt wurden.
Gustav Selve wurde 1842 in Lüdenscheid geboren. Ab 1861 arbeitete er im väterlichen Messingwalzwerk Basse & Selve in Werdohl. 1869 wurde der Firmensitz nach Altena in eine bestehende Drahtrolle am Schwarzenstein verlegt.
1872 heiratete Gustav Selve und wurde Teilhaber und Geschäftsführer der Firma. Er ließ eine Jugendstil-Villa (heute Lüdenscheider Straße 36) bauen und bezog sie 1874 mit seiner Familie. Aufgrund der aufwendigen Gestaltung wurde das Haus von der Altenaer Bevölkerung auch als "Villa Alpenburg" bezeichnet.
Nach dem Rückzug der Familie Basse wurde Gustav Selve 1883 Alleininhaber des Unternehmens. In diesem Jahr wurde "Die Firma" um das Werk Linscheid, eine frühere Königliche Schauermühle, (heute VDM) erweitert. Am 16.03.1885 erwarb er eine Fabrik am Lennestein und 1894 kam noch das Werk Hünengraben hinzu.
Mit der Herstellung von Aluminiumguss wurde ein Werkstoff entwickelt, der für Automobil-, Motorboot- und Luftschiffteile verwendet wurde. Durch die Produktion von Neusilber-Blech für Patronenhülsen, Nickel für Münzplättchen und Messing (Legierung aus Kupfer und Zink) für Beschläge aller Art, beschäftigte das Unternehmen Basse & Selve allein in Altena bis zu 2400 Mitarbeiter, weltweit bis zu 3500 Mitarbeiter. Etwa jeder fünfte Einwohner von Altena arbeitete somit für "Die Firma".
Stadtführerin Ulla Rinke beschrieb Gustav Selve als einen Patriarch: "... aber zu seinen Mitarbeitern wie ein Vater. Sein Motto war "Treue um Treue". Die Zeit, in der er lebte, war geprägt von der industriellen Revolution, extremer Armut des Proletariats und Kinderarbeit, die damals gang und gäbe war."
Sehr ungewohnt zu jener Zeit kümmerte sich Selve im großen Rahmen um die sozialen Belange seiner Mitarbeiter.
Er baute Arbeiterwohnungen, Kleinkinder- und Handarbeitsschulen, Konsum- und Badeanstalten und sorgte für die Einrichtung eines Unterstützungsfonds für Hilfsbedürftige.
Die Gründung der Altenaer Baugesellschaft (ABG) im Februar 1870 ging wesentlich auf sein Engagement zurück. 1880 ließ er das Haus Lennestein als Arbeiterheim errichten.
1896 verließ er Altena im Streit und leite seine Firmen zunächst von Bad Honnef, später von Bonn aus. Als Selve 1909 dort starb, hatte er die Fabrik zu einem multinationalen Konzern aufgebaut: Er besaß Werke in Altena, Hemer und Lüdenscheid, außerdem Produktionsanlagen im Rheinland, in Sachsen, Ostpreußen, der Schweiz und Italien. Am Ende wurde sein jährliches Einkommen auf 1,6 Millionen Mark geschätzt. (Zum Vergleich: Ein Arbeiter Selves verdiente etwa 1000 Mark im Jahr.) Auf der Liste der reichsten Preußen nahm er damit den 33. Platz ein. In seiner letzten Verfügung vermachte er seinen Mitarbeitern 1,5 Mio Reichsmark.
Die Arbeiter, Meister und Beamten der Selve'schen Werke waren Gustav Selve auch über seinen Tod hinaus treu und dankbar. An der Steinernen Brücke widmeten sie ihm ein Denkmal, das im Volksmund "Der stille Gustav" genannt wird. Die Straße dorthin heißt "Am Selvedenkmal". In der Wohnsiedlung Knerling wurde eine 1937 gebaute Straße nach Gustav Selve benannt und der 2007/2008 gebaute Kreisverkehr am Hünengraben trägt den Namen "Selve-Kreisel". Auch im 2019 neueröffneten "Haus Lennestein" wird das Gedenken an Gustav Selve, den "König von Altena", hochgehalten.
Der Konzern wurde nach dem Tod von Gustav Selve durch seinen Sohn Walther von Selve geführt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus der Firma eine GmbH und 1921 wurde Basse & Selve in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Es folgte die Inflation mit einem drastischen Rückgang der Münzproduktion. Wenig später schloss sich Basse & Selve mit zwei anderen Unternehmen zur Berg-Heckmann-Selve AG zusammen. 1930 folgte die nächste Fusion, die Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) waren geboren.
Hauptsitz des Unternehmens wurde Frankfurt am Main. VDM galt als größter Hersteller von Roh-, Halb- und Fertigerzeugnissen aus Nichteisenmetallen und -legierungen. Die Werke in Werdohl und Altena wurden als Zweigniederlassungen geführt, ihre besondere Kompetenz lag in Legierungen mit Anteilen von Kupfer, Nickel und Chrom - also in Edelstählen.
1958 spürte die Firma VDM die Folgen einer Wirtschaftskrise und schloss das Motorenwerk Hünengraben.
1977 wurden die Zweigniederlassungen Altena und Werdohl zum VDM-Geschäftsbereich Kupfer und Nickel zusammengeschlossen. Firmensitz wurde Werdohl. Neben der am Schwarzenstein ansässigen Verwaltung musste auch die Gießerei nach Werdohl umziehen. Am Schwarzenstein blieb lediglich ein sogenanntes Plattierwalzwerk. 1980 wurde das Werk Schwarzenstein endgültig geschlossen. VDM ist seither in Altena nur noch mit dem Werk Linscheid vertreten.
Eine ausführliche Darstellung der Geschichte von Gustav Selve finden Sie auf der Homepage des "Geschichts- und Heimatverein Lüdenscheid e.V."
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Christian Klimpel / 2020; Mailto: christian.klimpel@gmx.de
Quellen:
- Stadtarchiv Stadt Altena
- Kreisarchiv MK
- Geschichts- und Heimatverein Lüdenscheid e.V.
- www.wikipedia.de